Geerdet im Atem

,

Überwältigt von Eindrücken, seien sie positiver oder negativer Art, stockt uns schon manchmal der Atem. Ich kann mich gut erinnern, dass ich Situationen bei meinen Wanderungen in den Bergen erlebt habe, in denen ich unerwarteterweise plötzlich auf schmalen Weg vor abgründigen Passagen stand und Angst mich meinen Atem anhalten liess. Und wie stockte mir der Atem, als ich das erste Mal am Fernsehen die Terroranschläge durch Flugzeuge am 11. Sept. 2001 auf das World Trade Center sah. Auch gab es so manches Erlebnis in meinem Leben, das mich derart staunen liess, dass es mir für den Moment den Atem verschlug.

Wenn es wahr ist, dass unser Leib der sichtbare Ausdruck des ganzen unsichtbaren Universums in uns ist, (Graf Dürkheim)  dann verstehen wir, dass jede physische Haltung zugleich etwas Psychisches und Geistiges bedeutet.

Johannes Kopp, ein Dharmabruder von Pia Gyger, sagte einmal, dass unser Atem das Leiblichste des Geistes und das Geistigste des Leibes ist. Atmen ist Leben. Wir atmen jeden Augenblick, ob es uns bewusst ist oder nicht. Damit verbinden wir Innen und Aussen. Der Atem ist die Nabelschnur zur Seele, er verbindet uns mit unserem innersten Wesenskern und gleichzeitig mit allem, was ist.

Wer den Weg nach innen geht, lernt achtsam zu seinem Atem zu sein, um zu erfahren, dass er ein wirklich machtvolles Instrument ist, das uns immer zur Verfügung steht. Das Ein- und Ausatmen hilft uns, geerdet und ganz im Hier und Jetzt zu sein. Tief durchzuschnaufen schenkt uns eine gewisse Distanz in grosser Betroffenheit. Verspannung wird zu Entspannung, Enge zu Weite und Freiheit, Angst wandelt sich in strömende Lebensenergie. Dem Atem nachzugehen lässt uns in die eigene Mitte finden und gleichzeitig loszulassen, was uns belastet. Es ist die Ausgangsbasis für eine heilende Wandlung und Ganzwerdung.

Maruscha Magyaroschy spricht in Verbindung zum Atem von einem lebenslangen „Schöpfungsgebet“ und sie stellt fest: „Ich erlebe das Atmen manchmal wie ein befreiendes, bedingungsloses „Liebesspiel mit dem Schöpfer“, in mir und durch mich, Er ist einfach – überall und jederzeit. Und er durchdringt alles. Dabei löst er alles Krankhafte, alles Festgefahrene, alles Unbewusste und Begrenzende auf. Er ist frei von Konzepten, frei von Erwartungen und Illusionen. Er kennt weder Dogmen noch Normen noch Konfessionen noch Konventionen. Und er kennt kein Gesetz, kein Alter, kein Geschlecht, keine Rasse. Er führt unmittelbar in die Freiheit. Und das bedeutet: Atem-Befreiung – ein Hauch von Ewigkeit.“[1]

So gesehen fällt es uns leicht, den Atem als Bild für das göttliche Wirken der heiligen Geistkraft zu sehen und unseren Atem mit dem lebensspendenden und heilenden Atem Gottes zu verbinden.

[1] Maruscha Magyarosy: Intelligenz des Herzens durch die Fünf Tibeter, S. 43f.