Ostern im digitalen Netzwerk – Gemeinschaft im Wohnzimmer

Kann man wirklich  Ostern feiern am Computer, mit über 50 kleinen (Zoom-)Bildchen von vertrauten und unbekannten Menschen vor sich? Kann so «Osterstimmung» aufkommen, am eigenen, ganz gewöhnlichen Ess- bzw. Couchtisch sitzend, oder gar im Büro? Ostern an derart banalen Orten des Alltags? Das kann man sich zu Recht fragen.

Ja, es ist möglich – jedenfalls habe ich das so erfahren an Ostern 2021.

Es begann schon einige Zeit vorher, als in meinem Briefkasten ein Paket aus Deutschland lag, darin geheimnis-volle Briefumschläge für jeden Tag von Gründonnerstag bis Ostern und ein Ablauf für die gemeinsamen Tage. Ich fühlte mich fast «zärtlich» berührt davon, dass Mitglieder unserer Gemeinschaft sich und uns Teilnehmende mit solcher Sorgfalt auf die Tage vorbereiteten. Das entfachte Neugier und Vorfreude in mir, mit denen ich mich am Gründonnerstag gespannt auf das «Experiment Ostern» einliess.

Es wurde eine eindrückliche Erfahrung mit ganz unterschiedlichen Facetten. Durch die einzelnen Programm-punkte hindurch führte, inspirierte und begleitete uns ein engagiertes Team von Gemeinschaftsmitgliedern. An jedem der vier Tage «durfte» man einen der Umschläge öffnen. Darin fanden sich verschiedene Anregungen und «Zutaten», z.B. für die Fusswaschung, für Bildbetrachtungen, für das Gestalten eines Kreuzes, für das Schmücken der Osterkerze. All diese Elemente wurden in die stillen Zeiten der Einzelarbeit und in die liebevoll gestalteten Gottesdienste integriert. So entwickelte sich eine lebendige Kombination aus sinnlichen Erfahrungen, persönlichem Sich-Einlassen auf die Geheimnisse von Leiden, Tod und Auferstehung, aus Begegnungen und intensiven Gesprächen in grossen und kleinen Online-Gruppen, dem rituellen Feiern der einzelnen Stationen – sogar mit dem Entzünden eines richtigen Osterfeuers und dem Essen und Trinken von Brot und Wein in Erinnerung an Jesu Vermächtnis. All das wurde umrahmt durch zahlreiche wunderbare Musik- und Gesangs-Einlagen eines bewährten «Gemeinschafts-Musikers» und einer Gruppe engagierter junger Menschen, die einem das Herz erwärmten.

In den Pausen zwischen den verschiedenen Einzelarbeiten, Gesprächen und festlichen Liturgien war als Kontrast jedoch immer wieder mein vertrauter Tisch da, meine Küche mit Abwaschlappen und Krümeln, also die ganz banalen Gegenstände und Handgriffe meines Alltags. Und aus dieser «Gewöhnlichkeit» heraus tauchte ich jeweils wieder ein in den Weg von Gründonnerstag über Karfreitag bis zur österlichen Auferstehungsfreude.  Das übergangslose Hin- und Herpendeln zwischen alltäglichem Krimskrams und dem Innehalten, Beten, Feiern, Nachspüren und Austauschen fühlte sich zuweilen irritierend an, aber auch irgendwie faszinierend. Ein Glanz aus den geisterfüllten, festlichen, gemeinschaftlichen Momenten begann zunehmend meine Alltagsumgebung zu überstrahlen und verwandelte sie auf überraschende Weise. Diese Empfindung hielt bei mir viele Tage nach Ostern an und wirkte in mein gewohntes Leben hinein. Ob das die Folge dieser dichten Verflechtung von Alltag und Feier war?

Verbundenheit über Grenzen hinweg

Was mich in diesen Ostertagen zusätzlich bewegte, war ein wachsendes Gefühl von Verbundenheit mit den über 50 Personen, unter denen neben vertrauten Weggefährt*innen auch zahlreiche Menschen waren, die ich vorher kaum oder gar nicht gekannt hatte. Und je länger ich diese spezielle Form von Verbindung auf Distanz wahrnahm, desto mehr bekam sie für mich eine ganz eigene Bedeutung. Ich stellte mir die vielen verschiedenen Orte zwischen Berlin und Luzern quasi wie auf einer Landkarte vor und «sah» die Verbindungen zwischen den Menschen und Orten vor meinem geistigen Auge wie Linien. Noch nie hatte ich die Begriffe «Netzwerk» und «Verbundenheit» derart anschaulich erfahren, ja fast körperlich erlebt, und das, obwohl ich die ganze Zeit allein an meinem Stubentisch sass. Dieses paradoxe Erlebnis samt meinem inneren Bild der «Verbindungslinien» kamen mir wie ein kleines Wunder vor.

Ob andere ähnliche Erfahrungen machen? Seit fast eineinhalb Jahren verbinden sich täglich Zehntausende von Menschen mit Hilfe der neuen digitalen Möglichkeiten. Kann es sein, dass dadurch bei einigen oder vielen ein neues Bewusstsein des grundlegenden Verbundenseins heranwächst, ungeachtet aller Grenzen und Entfernungen? Ich weiss es nicht – aber in mir entstand eine «Ahnung», dass das, was ich an diesen Ostertagen erlebte, nicht nur eine individuelle Erfahrung sein könnte.

Sie hat letztlich viel mit der Corona-Pandemie zu tun, die uns ja unsere Verflochtenheit über alle Länder und Kontinente hinweg drastisch vor Augen führte. Die digitalen «Begegnungen auf Distanz» sind aus der Not des «Social Distancing» geboren. Wenn es stimmt, dass ausgerechnet die erzwungene Isolation neue Erfahrungen von Verbundenheit ermöglichte, so ist doch aus dem Dunkel etwas Neues entstanden, auch wenn wir alle noch nicht wissen, wie sich das weiterentwickeln wird. Für mich jedenfalls war diese Erfahrung ein persönliches Oster-Erlebnis, das mir Hoffnung und Zuversicht vermittelt.

Maja Pfaendler