Ringen um Segen

Jakobs Kräftemessen am Jabbok

Die Bibel hat in der Tat Recht, wenn sie (wie patriarchal auch immer) mit Kain und Abel die Mordsgeschichte um Erstplatzierung und Geschwisterneid an den Anfang stellt. So groß ist offenkundig die menschheitliche Angst, überflüssig zu sein und ins Nichts zurückzufallen.
Psychodramatisch genau zeigt das auch die Story von Esau und Jakob. Da ist es Jakob, der Jüngere, der den älteren Bruder betrügt. Durch eine List, die seine Mutter klug für ihn einfädelt, erschleicht er sich den Segen des Vaters. Esau fühlt sich betrogen und droht, den Bruder zu erschlagen. Jakob muss fliehen und für viele Jahre in der Fremde leben. Beschämt und unversöhnt. Ein Rangstreit unter Geschwistern.

Doch dann fasst er sich ein Herz. Jakob will Versöhnung und seinen Bruder treffen. Voller Angst geht er in die anstehende Begegnung nach 14 Jahren in der Fremde. Er bereitet eine Fülle an Geschenken vor, um den Bruder versöhnlich zu stimmen, schickt seine Familie mit all seinen Herden vor, den Fluss Jabbok zu überschreiten und bleibt selber allein zurück.
In der Nacht überrascht ihn ein Unbekannter wie aus dem Nichts. Sie kämpfen, ringen, verknoten sich, umschlingen einander. Zum Ende hin verletzt der Fremde Jakob so sehr am Hüftgelenk, dass Jakob für den Rest seines Lebens humpeln muss. Jakob schreit den Fremden an, dass er ihn nicht loslassen werde, bevor der ihn nicht segne! Und so geschieht es. Zwei Kräfte ringen eine lange Nacht bis zum Morgen, und am Ende segnet eine die andere.

Traditionellerweise wird der/die/das Fremde mit Gott identifiziert: nicht der ferne, unnahbare Gott, sondern Gott wird körperlich spürbar und macht sich verwundbar.
Und Jakob muss sich in der Begegnung mit diesem Fremden dem Unbekannten und Verdrängten in sich selbst stellen. Er geht in einen inneren Kampf gegen Schuld- und Schamgefühle, kämpft gegen die eigenen dunklen Seiten und gegen Gefühle von Wertlosigkeit und Verzagtheit. Ein Kampf auf Leben und Tod. Der Fremde bittet: „Lass mich los!“ Doch genau das will Jakob nicht mehr. Er hält den fest, der ihn segnet. Nur der Eintritt in einen Segensraum löst Jakobs Kampf oder andersherum: nur die Auseinandersetzung mit den eigenen Schattenkräften bewirkt Segen.

Die Geschichte von Jakobs Ringen beschreibt einen Moment, der individueller, ja existentieller nicht sein könnte. Wir ringen um Respekt und Gottes Segen in den Krisen unseres Lebens. Und Gott segnet. Manchmal sogar schon vor dem Morgengrauen.
Und dann können wir mit Jakob erstaunt ausrufen: „Gott ist hier, und ich wusste es nicht.“ (Gen 28,16).