Gong

Leben und Tod sind von grossem Ernst

Sterben und Vergehen werden uns in den täglichen Nachrichten dramatisch vor Augen geführt. «Leben und Tod sind von grossem Ernst!», heisst es im sogenannten Totenruf. In einem Zen-Sesshin wird er den Meditierenden jeden Abend zugerufen. Eindringlich klingt darin die Mahnung: »seid stets wachsam, niemals nachlässig…». Es geht darum, im gegenwärtigen Augenblick achtsam zu sein und die Wirklichkeit zu sehen, wie sie ist. Das meint: genau hinzuschauen, was in der Welt wirklich vor sich geht, nicht die Augen davor zu verschliessen und Verantwortung dafür zu übernehmen. Es meint aber auch, Leben und Tod zu transzendieren, zu unserem wahren Wesen zu erwachen und zu erfahren: In unserem tiefsten Wesen sind wir zeitlos, frei von Geburt und Tod und eins mit dem Göttlichen.

Kontemplation und Zen sind Übungswege, die helfen können, zu erfahren, dass das Leben nicht ausgelöscht werden kann und aus dieser Erfahrung Kraft zu schöpfen. Wenn ich wirklich im Hier und Jetzt lebe, entsteht eine tiefe Lebendigkeit, in der ich spüre, dass mir in jedem Moment das ganze Leben zur Verfügung steht, dass alles, was ist, zum Leben dazugehört. In unserem Üben sind wir eingeladen, Räume in uns zu erschliessen, die dieses eigentliche Leben bedeuten. Und dass dieses den Tod, das Versagen und allen Schmerz mit einschließt.

Die MystikerInnen sprechen davon, dass sich Gott als Geborenwerden und Sterben vollzieht. Auch das Untergehen ist der Herzschlag Gottes, nicht nur das Auferstehen. Gott ereignet sich in allem, was ist, in jeder Gestalt. Dieses göttliche Leben zu erkennen, bedeutet Teilhabe an allem Lebendigen, an allem Leiden und an der Erlösung je neu. Das Leben ist ein fortwährender Prozess der Wandlung: Einatmen und Ausatmen, Loslassen und Neuwerden. Aus dieser Gewissheit zu leben und handeln, ist die Herausforderung – mitten in unserem Alltag, präsent zu sein dort, wo wir sind und leben und im Rahmen unserer Möglichkeiten einstehen für das Leben.

Tief berührt hat mich ein Bericht, den ich kürzlich im Fernsehen gesehen habe. In Neuseeland lebt der Kakapo, eine Papageienart, die im 19. Jahrhundert fast ausgestorben war. Langsam ist diese Art wieder am Wachsen, weil es Menschen gibt, die die verbliebenen Papageien auf eine Insel umgesiedelt haben, auf der keine Feinde für diese Art leben. Und: weil Menschen die Eier schützen und die Kleintiere in das Nest der Mutter zurückgeben, nachdem sie geschlüpft sind. Mir kamen die Tränen, als ich sah, wie behutsam von den Forschern das Neugeborene in das Nest gelegt worden ist und wie achtsam die Papageien-Mutter ihren Sprössling angenommen und gefüttert hat: Leben und Tod sind von grossem Ernst!