Sprache finden

Der Titel dieses Katharina Life „Überwältigt“ erinnert mich an verschiedene Erlebnisse in unserem Projekt „Frau-Sein“ für geflüchtete Frauen.

Da waren im vergangenen Jahr zunächst die ukrainischen Kinder, die mit ihren Müttern ganz neu in der Schweiz ankamen. In den ersten Wochen, in denen sie noch keine Tagesstruktur und keine feste Unterkunft hatten, war ihnen besonders deutlich anzumerken, wie sehr sie die von den Erlebnissen des Krieges überwältigt waren. Sie wirkten apathisch, flüchteten in Handyspiele und bei jedem lauten Geräusch zuckten sie zusammen.

Bei uns im Projekt konnten sie malen, fanden sie Spiele und bekamen ein Kuscheltier. Doch im Nachhinein war für sie und auch für andere Flüchtlingskinder besonders wichtig, dass wir uns in den Schulferien gemeinsam die Filme „König der Löwen“ und „Das Dschungelbuch“ angesehen haben. Mit Hilfe von Übersetzerinnen war es möglich nach den Filmen mit den Kindern darüber zu sprechen, wie es ist, wenn man in Gefahr ist, wie es Kindern ergeht, die ihre Heimat und zum Teil die Eltern verloren haben. Einigen Kindern war deutlich anzumerken, dass sie neue Hoffnung schöpften bei dem Gedanken, dass es möglich ist, neue Freunde zu finden, um sich in der Fremde (in der Wildnis) zurechtzufinden. Kinder aus der Ukraine erlebten Kinder aus Afghanistan, Syrien und aus Somalia, die ähnliches erlebt hatten, wie sie selbst. Die Kinder sprachen über sich und ihre eigenen Gefühle, indem sie sich in die Rollen der Filmhelden versetzten. Anschliessend malten sie ausdruckstarke Bilder, die schon weniger bedrückend wirkten, als die Bilder vorher.

Auch für ihre Mütter kann das Sprechen über die Gefühle ein erster Schritt sein, um die traumatischen Erlebnisse aus der Heimat und der Flucht schrittweise zu bewältigen. Wir versuchen eine Atmosphäre zu schaffen, in denen die Frauen sich wohl fühlen, zunehmend an Sicherheit gewinnen und Solidarität erfahren. Oft liegt „das Buch der Wünsche“ in der Mitte auf unserem Küchentisch … dort können sie ihre Wünsche und Ängste in der eigenen Sprache formulieren – sie werden in der Offenen Kirche Elisabethen im Stadtgebet gelesen und ins Gebet gebracht, was auch von den Frauen aus den anderen Religionen sehr geschätzt wird.

Manchmal, so z.B. nach dem Erdbeben in Syrien und der Türkei, bei denen auch einige unserer geflüchteten Frauen Angehörige verloren haben und viele sehr in Angst waren, zünden wir in unserer Mitte einfach eine Kerze an. Oft ist es einfach der Anblick der Kerze und die ausgesprochene Anteilnahme, die Frauen ermutigt über das, was sie überwältigt, zu sprechen. In Einzelgesprächen ist spürbar, wie gut es ihnen tut, mit dem, was sie belastet Gehör zu finden. Gut, dass es künftig mehr Projekte geben wird, in denen es möglich sein wird, auch in der jeweiligen Muttersprache AnsprechpartnerInnen für Geflüchtete zu finden. Doch die vielen kleinen Zeichen des Verständnisses, des Verstehenwollens und der Zuneigung sind bereits wichtige erste Schritte zur Bewältigung dessen, was viele erleben mussten.

Immer mehr wird mir wichtig, dass die Frauen nicht nur die Sprache Deutsch lernen, sondern auch Sprache finden, (in welcher Sprache auch immer) für das, was sie erlebt haben und das, was sie bewegt.